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05.07.2016 | Bilanz Flüchtlingsarbeit

Im Marathonlauf ist Geduld gefragt

Willkommenscafé im Bürgerhaus Nord
Die neun Willkommenscafés in den Ortsteilen (hier im Bürgerhaus Nord) sind ein wichtiger Baustein, um Flüchtlinge und Einheimische miteinander bekanntzumachen.

Seit August 2015 nimmt die Stadt Trier Asylbewerber während der Dauer ihrer laufenden Verfahren auf, insgesamt wurden Trier bislang über 1300 Menschen zugewiesen. In einer Konferenz zogen Stadt und beteiligte Institutionen Bilanz zur bisherigen Flüchtlingsarbeit und tauschten sich über anstehende Herausforderungen aus.

Noch Anfang 2015 gab es in der Stadt keine Strukturen, um Asylbewerber aufzunehmen, alles musste innerhalb weniger Monate aus dem Nichts geschaffen werden. „Die Zeit war anstrengend, aber auch bereichernd“, betonte Oberbürgermeister Wolfram Leibe. Das Team „Asyl“ rund um Sozialamtsleiter Hans-Werner Meyer habe diese Krisensituation „professionell gemanagt“. Partnerinstitutionen hätten auf Zuruf Menschen eingestellt, man habe im gegenseitigen Vertrauen zusammengearbeitet und auch etwas riskiert. Leibe dankte allen Beteiligten, die „die Ärmel hochgekrempelt“ hätten. Auf der Konferenz herrschte Einigkeit darüber, dass die Aufnahme der Geflüchteten bislang nur funktioniert habe, weil alle Akteure in Trier ein effizientes Netzwerk gebildet hätten. Eine sehr wichtige Rolle hätten dabei auch die ehrenamtlich Tätigen gespielt.

Die Wünsche der Flüchtlinge fasste Sozialdezernentin Angelika Birk zusammen: „Leben statt nur Überleben, durch selbstbestimmte Arbeit auf eigenen Füßen stehen.“ Beim Rückblick der Akteure auf die vergangenen Monate (siehe Berichte unten) wurde deutlich, wie vielschichtig die Herausforderungen dabei sind.

Die Zahl der neu zugewiesenen Flüchtlinge ist zurzeit mit unter 15 pro Woche relativ gering, der Großteil kommt weiterhin aus Syrien und Afghanistan. Derzeit erhalten über 670 Asylbewerber, die noch keine Anerkennung haben, Leistungen vom Amt für Soziales und Wohnen. Das Jobcenter hingegen betreut die bereits anerkannten Flüchtlinge. Dies sind zum einen diejenigen, die ehemals der Stadt zugewiesen waren, zum anderen diejenigen, die erst nach ihrer Anerkennung selbständig nach Trier gezogen sind. Jobcenter-Leiterin Marita Wallrich berichtete, dass aktuell über 600 erwerbsfähige Flüchtlinge gemeldet seien, täglich kämen etwa 20 hinzu.

In Podiumsdiskussionen erörterten die Trierer Akteure, welche Aufgaben auf mittlere Sicht angegangen werden müssen. Sprache als wichtiger Schlüssel für die Integration wurde immer wieder thematisiert. Zum Thema Wohnen konnte Sozialamtschef Meyer berichten, dass die Stadt dem Willen des Stadtrats nachkomme, die Flüchtlinge dezentral in Wohnungen unterzubringen, dass es jedoch in geringem Umfang auch weiterhin Gemeinschaftsunterkünfte geben werde. Carsten Stumpenhorst, Geschäftsführer des Diakonischen Werks, bemerkte, dass nun auch die Infrastruktur in den Quartieren angepasst werden müsse, beispielsweise was den Kitabedarf, Schulen oder die ärztliche Versorgung betreffe. Zudem plädierte er für „Kulturmittler als Scharniere zwischen Aufnahmegesellschaft und Flüchtlingen“. Dr. Bernd Kettern, Direktor des Caritasverbands Trier, sprach von einem „Marathonlauf“, den man bei der Integration absolviere, ein Wort, das spätere Diskutanten immer wieder aufgriffen.

Bei der Integration in Ausbildung und Beruf warnte Dr. Carl-Ludwig Centner von der Handwerkskammer Trier vor zu hohen Erwartungen. Er sagte: „Wir haben die Flüchtlinge am Anfang überfordert und sie schnell in Ausbildungen oder Einstiegsqualifikationen gebracht, dies dann aber mit einer hohen Abbrecherquote bezahlt.“ Als Konsequenz aus diesen Erfahrungen plädierte er dafür, ihnen mehr Zeit zu geben und sie mehr zu beraten. Wichtig sei es, ihnen eine gute Perspektive zu geben. Dies betonte auch Sozialdezernentin Birk: „Wie müssen den Menschen klar machen, dass es sich lohnt, eine Ausbildung oder ein Studium zu absolvieren.“

Akteure in der Flüchtlingsarbeit finden Informationen, Zuständigkeiten und Angebote jederzeit aktuell auf der offiziellen Webseite der Stadt Trier: www.fluechtlinge-in-trier.de.

Bilanz der Bereiche

Wohnen und Soziales

Über die Mammutaufgabe, Wohnraum für die seinerzeit wöchentlich steigende Flüchtlingszahl zu organisieren, informierte Sozialamtsleiter Hans-Werner Meyer. Wohnungen hatten Priorität, weniger Gemeinschaftsunterkünfte. Ein Organisationsstab musste fast aus dem Nichts aufgebaut werden, 200 Wohnungen wurden gefunden. Nicht alles verlief anfangs glatt, aber alle halfen nach Kräften mit.

„Wir haben mit gegenseitigem Vertrauen, guter Vernetzung und großer Motivation in kürzester Zeit menschenwürdige Unterkünfte geschaffen“, bestätigte Caritas-Direktor Dr. Bernd Kettern. Auch die Gefühlslage der Flüchtlinge war zu berücksichtigen. „Mit dem Erreichten stehen wir bei einem Städtevergleich im oberen Drittel.“ Im Alltag komme man gut miteinander aus, selbst die Mülltrennung funktioniere mittlerweile.

Von der Notwendigkeit der Kinderversorgung und der sanitätsmedizinischen Betreuung berichtete Michael Decker vom Deutschen Roten Kreuz: „Viele Flüchtlinge kamen unterversorgt, waren auf Hilfe angewiesen.“

Ehrenamt und Angebote

Die Vielfalt ehrenamtlicher Angebote listete die Koordinatorin der Flüchtlingshilfe, Ruth Strauß, auf und ist sich sicher: „Ohne das Ehrenamt wäre das letzte Jahr nicht zu stemmen gewesen.“ Große Verdienste kommen neben den individuellen Hilfen den Willkommenscafés zu, die es bereits in neun Ortsbezirken gibt. Für haupt- und ehrenamtliche Helfer waren Schulungen und Fortbildungen wichtig. An verschiedenen Orten konnten schon Freundschaften entstehen.

Informationen, Beratung, Vermittlung, Fortbildung und Vernetzung gehören, so Olga Hermann, zum Service-Angebot der Ehrenamtsagentur, die bereits über 100 Helfer geschult hat. Auch Organisationen und Vereine können sich mit ihren Mitmachangeboten an die Agentur wenden.

„Wir waren beeindruckt von der Arbeit der Ehrenamtlichen“, unterstrich Anna Puch vom Diakonischen Werk ihre Erfahrung mit Flüchtlingsbegleitern, die die Diakonie schult, in fachlicher Sicht berät und denen sie eine Supervision anbietet. Gut 70 wirken aktiv mit und sind den Geflüchteten eine wichtige Stütze.

Sprache und Bildung

Fest steht: Das Erlernen der Sprache des Gastlandes ist die entscheidende Voraussetzung zur Integration. Dr. Caroline Thielen-Reffgen vom kommunalen Bildungsmanagement der Stadt berichtete von den Anfangserfolgen, zunächst einmal als Forum gedient zu haben, in dem die Vielfalt der Sprachangebote zusammengeführt und koordiniert werden konnte. Heute gibt es zehn Anbieter mit zertifizierten Sprachkursen sowie eine Vielfalt von Integrations- und Flüchtlingskursen. Teilweise bestehen lange Wartezeiten. Auch fehlt es an Dozenten.

Ursula Biehl von der ADD-Schulabteilung würdigte die Flexibilität und Einsatzbereitschaft der Grund- und weiterführenden Schulen bei dem immer differenzierter werdenden Angebot an deutschsprachigen Intensivkursen.

Schon 300 Jugendliche haben die freiwillige Sprachförderung für junge Zuwanderer des Jugendmigrationsdienstes der Caritas in Anspruch genommen, über die Katharina Moik informierte. Sie unterstrich den Wert individueller Bildungsangebote.

Ausbildung und Arbeit

„Unsere Dienstleistungsstrukturen und Qualitätsstandards passten nicht mehr. Hinzu kamen die Sprachbarrieren“, beschrieb Christian Thömmes die schwierige Ausgangslage der Agentur für Arbeit, Flüchtlingen den Weg in eine berufliche Ausbildung zu eröffnen. Heute sei man neu aufgestellt. Arabisch sprechende Übersetzer wurden eingestellt, Netzwerke aufgebaut, die Mitarbeiter in interkultureller Kompetenz geschult, Organisationsanpassungen vorgenommen. Mit dem Jobcenter wurden Integrationsprogramme für Flüchtlinge entwickelt. Mit der Handwerkskammer und der Industrie- und Handelskammer gibt es Kooperationen, auch in Form von Praktikumsbörsen. „Wir brauchen Geduld, Gelassenheit, Mut und individuelle Lösungen“, so Thömmes.

Monika Berger erläuterte die Arbeit des Projekts Beschäftigungspilot des Bürgerservice, der berufsbezogene Kompetenzen der Flüchtlinge erkennen und fördern soll. Hierzu gehören Beratungen, die Herstellung von Kontakten und die Begleitung der Menschen zur Arbeitsagentur.

Unbegleitete Minderjährige

Vor welche Herausforderungen das Jugendamt über Monate gestellt war, täglich acht bis zehn unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, auch hier meist Syrer und Afghanen, an „elternstatt“ zeiteweise unterzubringen, schilderte eindrucksvoll Amtsleiter Achim Hettinger. Neun unterschiedliche Träger halfen mit, vorübergehend wurden zusätzlich sechs Notgruppen gebildet. Hettinger lobte die positive Kultur des Helfens. Man sei an die Grenze des Machbaren gekommen, doch habe man es Dank der Unterstützung der freien Träger, der Mitarbeiter, der Familien, Hotels, Vereine und des Verständnisses der Bürgerinnen und Bürger geschafft.

Carsten Lang vom Jugendhilfezentrum Don Bosco Helenenberg bekräftigte, trotz des enormen Drucks an den Standards der Jugendhilfe festgehalten zu haben und lobte den Zusammenhalt aller freien Träger. Mit Sprachförderung, Integrations- und Ausbildungsprogrammen werde es gelingen, die jungen Menschen in ein normales Leben zu führen. Dies sei auch eine gesellschaftliche Verpflichtung.

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