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12.12.2017

Zweite Chance im Trierer Rathaus

Praktikant Amir Obaid unterstützt in der Bußgeldstelle
Amir Obaid (links) ist für Elvira Schuler in der Trierer Bußgeldstelle eine Hilfe bei der Aktenablage und lernt von ihr den Arbeitsalltag in der städtischen Behörde kennen. Foto: Jobcenter
Ein einziges Semester fehlte noch zum Abschluss des Jurastudiums. Doch Amir Obaid musste wegen des Bürgerkriegs in Syrien seine Heimatstadt Damaskus verlassen. Damit hatte sich auch sein Berufswunsch, wie sein Vater Jurist zu werden, erst einmal erledigt. In Trier hat der 30-Jährige nun eine zweite berufliche Chance erhalten.

Amir Obaid macht ein Praktikum in der Bußgeldstelle der Stadtverwaltung. Dort, wo es sich um Ordnungswidrigkeiten wie Falschparken und zu schnelles Fahren im städtischen Verkehr dreht, bekommt er einen direkten Einblick in die Arbeitsweise eines deutschen Ordnungsamtes. Ob bei der Büroarbeit, auf Streife gemeinsam mit den Hilfspolizeibeamten oder unterwegs mit den Lebensmittelkontrolleuren: Die Vielschichtigkeit der Aufgabenfelder hat ihn  überrascht.

Und auch wenn es aufregend ist, bei Außenterminen dabei zu sein, so liegt ihm persönlich doch mehr der juristische Bezug zu den Fällen, die dann in der Sachbearbeitung landen. „Das System ist das gleiche wie in Syrien, wenn man dort Strafen für falsches Parken bekommt“, erzählt Amir Obaid. Natürlich sei inzwischen die syrische Verwaltung nicht mehr funktionsfähig, „es ist alles kaputt.“

Begleitender Sprachkurs

Dass die sprichwörtliche deutsche Ordentlichkeit ihre sinnvolle Daseinsberechtigung in einem Amt hat, ist für Amir Obaid selbstverständlich, und er hört aufmerksam zu, wenn Sachbearbeiterin Elvira Schuler ihm die Aktenablage erklärt. Die 63-Jährige hat ihn unter ihre Fittiche genommen und teilt gerne ihr Wissen und ihren langjährigen Erfahrungsschatz mit dem zu Anfang etwas schüchternen Praktikanten aus Damaskus. „Inzwischen fragt er ganz oft viel nach. Vor allem, wenn er einen Begriff oder ein Wort nicht verstanden hat. Und er versteht immer mehr, als er ausdrücken kann“, sagt sie. Trotz seiner juristischen Vorbildung sind die Fachbegriffe und Definitionen in der Amtssprache nicht leicht für Amir, der begleitend zum Praktikum den B 2-Sprachkurs absolviert und im Dezember zur Prüfung antritt.

„Ein Sprachniveau von B2 sollten die Bewerber um die Praktika schon mitbringen. Man sollte in der Lage sein, Wünsche und Nachfragen zu formulieren und Feedback zu geben“, sagt Marco Immig vom Trierer Jobcenter, das die Interessenten an die Stadtverwaltung vermittelt. Danach wird es vom Einzelfall abhängig gemacht, ob ein Geflüchteter für ein Praktikum in Frage kommt.

Ein Interesse daran, wie eine Stadt funktioniert und wofür die unterschiedlichen Ämter zuständig sind, ist sicherlich von Vorteil. So konnten seit dem vergangenen Sommer vier geflüchtete junge Menschen als Praktikanten in verschiedene Bereiche der Stadtverwaltung hineinschnuppern. Fünf Kandidaten stehen auf der Warteliste, da deren Sprachkurse erst im Februar enden.

Zwei weitere Interessenten sind aktuell vom Jobcenter vorgeschlagen und einer hat sich sogar auf eigene Initiative direkt bei Oberbürgermeister Wolfram Leibe beworben. „Für uns ist diese gute Nachfrage ein Hinweis darauf, dass bei vielen ein großes Interesse besteht, nicht nur in unserer Stadt zu leben, sondern sich auch mit ihr als neue Heimat zu identifizieren und in Trier eine solide berufliche Zukunft aufbauen zu wollen“, so der OB. Die Praktika in der Stadtverwaltung bieten einen ersten Kontakt mit der Infrastruktur der Stadt und einen niedrigschwelligen Einstieg in das Trierer Alltagsleben.

Bewerbung um Ausbildungsplatz

Am Ende des Praktikums hat Amir Obaid die Chance, sich auf einen Ausbildungsplatz als Verwaltungsfachangestellter zu bewerben. Elmar Geimer, Abteilungsleiter der Bußgeldstelle im Ordnungsamt, ist zuversichtlich, dass Amir eine berufliche Perspektive in der Stadtverwaltung haben kann. „Er will viel lernen und zeigt, dass es ihm ernst ist mit der Ausbildung.“ Womöglich hat Amir am Ende doch noch eine Chance, zumindest im weitesten Sinne, in die beruflichen Fußstapfen seines Vaters zu treten.

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